Mal wieder der schwierige § 55 StPO

Zu kaum einer Vorschrift im deutschen Strafprozess gibt es so viel Unkenntnis bei Beteiligten auf allen Ebenen (Polizeibeamten, Staatsanwälten, Richtern, Verteidigern, sonstigen Rechtsanwälten und anderen Scharlatanen).

Heute wieder ein ausgewachsener Kriminaloberkommissar einer Staatsschutzabteilung, der mehrfach betont, dass er die Auskunftsperson den (rechtlich falschen) Text der schriftlichen Belehrung zum „Zeugnisverweigerungsrecht“ (falscher Terminus) hat lesen lassen und sie dann mündlich mehrfach darauf hingewiesen hat, dass das bedeutet, dass sie nichts sagen müsse, wenn sie sich selbst belasten müsste.

Und dieser schwurbelnde Unsinn bleibt vom Gericht so hingenommen.

Was ist da alles falsch gelaufen?

Zunächst wird immer wieder/oft verwechselt das „Auskunftsverweigerungsrecht“ und das „Zeugnisverweigerungsrecht“. Dem Gesetzeswortlaut nach gibt es da keinen Zweifel: Das Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 StPO) ist das Recht der Angehörigen eines Beschuldigten allein deshalb zu schweigen, weil man Angehöriger (verwandt, verschwägert, verlobt) ist; das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO ist etwas völlig Anderes.

Mit der Kollegin Anika Klein aus Erfurt habe ich für entsprechende Dummies eine Eselsbrücke erfunden, nämlich, dass man bei dem Zeugnisverweigerungsrecht an die Zeugung denken muss, die jemanden zum Angehörigen macht. (Hinkt zwar bei Verschwägerten und Verlobten, ist aber leicht zu merken).

Nun zum Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO, das permanent und immer wieder zu grottenfalschen – weil unvollständigen – Belehrungen führt, auch bei gefühlt 95% aller deutschen Strafrichter.

Ich mag es nicht mehr hören:

Ich belehre, dass sie sich selbst nicht belasten müssen, dass heißt, Sie müssen nicht berichten, wenn Sie sich strafbar gemacht haben.

Das ist nicht nur unvollständig, sondern falsch, weil es sowohl den Zeugen/die Auskunftsperson als auch zum Beispiel Schöffen oder dumme Richter dazu bringt, zu glauben, dass der Zeuge, der aufgrund dieser Norm schweigt, damit eigentlich zugibt, sich strafbar gemacht zu haben.

Genau das ist aber nicht so. Bei den Belehrungen würde es reichen, wenn der Gesetzestext vorgelesen wird:

Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

Es geht also nicht um das Geständnis einer Straftat, sondern nur um die Gefahr, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Es kommt also nur darauf an, ob die Gefahr bzw. Möglichkeit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens besteht (BVerfG NJW 2003, 3045; BGH NStZ 1986, 181). Der voraussichtliche Ausgang eines etwaigen Verfahrens nach Durchführung der Ermittlungen ist dabei nicht relevant (BGH NJW 1999, 1413).

Und dass jedes Jahr tausende von Ermittlungsverfahren mangels Tatverdacht eingestellt werden, ist kein Geheimnis.

Also BITTE: Die Belehrung:

„Sie dürfen schweigen, wenn Sie sich selbst belasten müssen“

ist fasch.

Die Belehrung:

„Sie dürfen schweigen, wenn die Gefahr besteht, dass aufgrund Ihrer Angaben ein Ermittlungsverfahren gegen Sie oder einen Ihrer Angehörigen eingeleitet werden könnte.“

ist richtig.

Ich weiß, dass es leider alles kaum hilft, aber ich werde es immer wieder versuchen.

Über rawsiebers

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, bundesweit tätig, TOP-RECHTSANWALT Deutschland 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020: STRAFRECHT (Focus-Spezial von 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020)
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