Die Welt der Strafprozesse, das Umfeld der Strafjustiz und mehr aus der Sicht von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Werner Siebers aus Braunschweig (Eigenwerbung eingeschlossen)
Ich sehe diese R1-und besser-besoldeten Kandidaten bei den Staatsanwaltschaften vor mir, wie Sie die Post arbeiten. Selbst bei der Polizei gibt es hin und wieder entsprechende Textbausteine.
Bei vielen Akteneinsichtsgesuchen der Verteidigung eines Beschuldigten wird ohne jedes Nachdenken oder absichtlich nur geschaut, ob die Akte unmittelbar greifbar ist. Ist sie das nicht, weil sie noch bei der Polizei, einem Sachverständigen, einem Gericht, verbusselt oder, oder, oder … ist, gibt es ein Kreuzchen für die Verfügung:
Schreiben an Vert., dass die angeforderten Akten zurzeit nicht verfügbar sind und deshalb nicht übersandt werden können.
Nicht nur eine nach Faulheit stinkende behördenübliche Schiebetaktik, vielmehr, und das zählt, (fast) immer eine unzulässige und gesetzwidrige Behinderung der Verteidigung in höchst verfahrensbeeinflussender Weise, deren Brisanz leider viel zu selten gesehen und gerügt wird, denn je eher die Verteidigung die Akten kennt, desto eher kann auf das Verfahren Einfluss genommen werden.
Deshalb sollten Verteidiger grundsätzlich auf diese – modern ausgedrückt – respektlosen Lass-mich-bloß-in-Ruhe-Verfügungen angemessen reagieren und ggf. auch das durchaus scharfe Schwert der Dienstaufsichtsbeschwerde nicht scheuen.
Ein Textvorschlag:
Ich nehme Bezug auf die Mitteilung, dass meinem Antrag auf Akteneinsicht derzeit nicht entsprochen werden kann, da die Akten anderweitig versandt oder nicht abkömmlich sind.
Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass der Verteidiger „ein Recht auf möglichst frühzeitigen und umfassenden Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsergebnissen und auf Vermittlung der erforderlichen materiell- und prozessrechtlichen Informationen“ hat (BVerfG StV 2004, 254).
Daher darf die Akteneinsicht ausschließlich nach der Regelung des § 147 Abs. 2 StPO vorläufig verweigert werden, die Versandtheit oder Nichtverfügbarkeit der Akten gehört ganz sicher nicht dazu.
Die von der Staatsanwaltschaft angegeben Gründe tragen also eine verweigerte Akteneinsicht gem. §147 StPO unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, im Gegenteil, es liegt eine unzulässige Behinderung der Verteidigung vor, die ausdrücklich gerügt wird.
In diesen Fällen hat die Staatsanwaltschaft nämlich die Akten unverzüglich zurückzufordern und dem Akteneinsichtsgesuch zu entsprechen (Schlothauer in MAH-Strafverteidigung, § 3 Rn. 39; Nobis, Strafverteidigung vor dem Amtsgericht, Rn 74).
Selbst wenn also durch die Rückforderung der Akten von der Polizei Verzögerungen der Ermittlungen einträten, wäre dies in Kauf zu nehmen (Löwe/Rosenberg/Lüderssen/Jahn § 147 Rn. 99 u. 132). Die Ermittlungsbehörden haben es nämlich selbst in der Hand, derartigen Folgen der Akteneinsichtsgewährung durch Anlegen von Doppelakten vorzubeugen.
Das Einsichtsrecht ist so früh wie möglich zu gewähren (BVerfG 12.1.1983 – 2 BvR 864/81, BVerfGE 63, 45 (62) = NJW 1983, 1043; BGH 11.11.2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317 (330) = NJW 2005, 300; AK/Stern Rn. 49; Walischewski StV 2001, 243). Nach dem – mit Art. 6 EMRK und dem GG vereinbaren – § 147 Abs. 2 S. 1 StPO können zwar Aktenteile oder temporär die gesamte Akte zurückgehalten werden, aber nur, wenn die Einsicht den Untersuchungszweck gefährden kann. Eine solche Gefährdung liegt nur dann vor, wenn zu befürchten ist, dass bei Gewährung der Akteneinsicht die Sachaufklärung beeinträchtigt wird (Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 147 Rdn. 15).
Ob die Einsicht versagt wird, ist eine Ermessensentscheidung der StA. Ein Ermessensspielraum besteht jedoch nicht hinsichtlich der Annahme des Vorliegens einer Gefährdung; diese muss in konkreter Art und Weise aufgrund konkreter Anhaltspunkte erwartbar sein. In der Regel ist dies nur zu Beginn der Ermittlungen gegeben. Das Vorliegen der Gefährdung und die darauf folgende Ermessensausübung der StA sind gerichtlich überprüfbar. Die StA muss sich bei der Zurückhaltung ausdrücklich auf § 147 Abs. 2 StPO berufen, Abs. 5 S. 3 rechtfertigt nicht die unterlassene Mitteilung der Versagung. Im Falle einer Teilversagung ist die Entnahme von Aktenteilen kenntlich zu machen. Die Begründung der Entscheidung ist zur Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung aktenkundig zu machen (Münchener Kommentar zur StPO, 2. Auflage 2023, § 147 Rdn. 25).
Zusammenfassend: Die Tatsache, dass die Akten „versandt“ oder „nicht verfügbar“ sind, gehört nicht zu den gesetzlich akzeptierten Ausnahmen, so dass die Akten dort, wo sie sich befinden, zurückzufordern sind, um dann Einsicht zu gewähren oder eine Zweitakte anzulegen, um dann Einsicht in diese zu gewähren.
Stefan Raab würde sagen: „Man weiß es nicht so genau“.
Ich tendiere eindeutig zum versuchten Betrug. Was ist geschehen?
Im einem Verfahren vor dem Landgericht Halle lege ich für die Mandantschaft Revision ein, beantrage die Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen und schreibe:
Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts.
Darauf erhalte ich vom Landgericht Halle – quasi als Jahreseinstieg für die Abteilung Ärgernisse 2023 – folgende Mitteilung:
Ich nehme die interessante These zur Kenntnis, dass die Rüge der Verletzung materiellen Rechts die Gebühr nach VV 4130 nicht auslöst, eine neue, gewagte, fantasievolle und vermeintlich trickreiche Vorgehensweise, um – so mein Verdacht – mit einer Täuschung bei unerfahrenen Verteidigern die Erregung eines Irrtums zu versuchen, um diese um ihnen zustehende Gebühren zu bringen.
Tatsächlich ist die These – die deutlichen Worte sind hier angebracht! – schlicht völliger Nonsens.
Spannend fände ich eine Fundstelle, sei es Kommentar, sei es Rechtsprechung. Findet man aber für diesen völligen Quatsch natürlich nicht!
Im Gegenteil:
Die Erhebung der Rüge der Verletzung materiellen Rechts ist immer eine umfassende und vollständige Revisionsbegründung. Zur Erhebung der Sachbeschwerde gehört lediglich die ausdrückliche Erklärung, dass die „Verletzung materiellen (sachlichen) Rechts“ gerügt werde.
§ 344 II StPO ist insoweit eindeutig und bezieht sich ausschließlich auf die Rüge der Verletzung formellen Rechts. Eine Begründung der Sachrüge ist schlicht nicht vorgeschrieben (Meyer-Goßner/Schmitt StPO beliebige Auflage, § 344 Rdn. 17).
Resümee: Die Verfahrensgebühr entsteht selbstverständlich auch und schon dann, wenn der Verteidiger sich darauf beschränkt, in der Revisionsschrift lediglich die Verletzung materiellen Rechts zu rügen (Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage 2021, Nr. 4130 VV Rd. 16 mit diversen Rechtsprechungshinweisen).
Ich werde auf den Trick also nicht hereinfallen, mich würde aber schon interessieren, wieviele Kollegen auf diesen Unsinn hereingefallen sind, also wegen einer Täuschung einem Irrtum unterlegen sind.
Es geht bei dem „Führungszeugnis“ (3. Abschnitt des Bundeszentralregistergesetzes – BZRG – § 30 und die folgenden) um die „Führung“ einer Person in der Vergangenheit.
Das Bundesamt für Justiz beschreibt kühl und trocken:
Das Führungszeugnis, umgangssprachlich auch „polizeiliches Führungszeugnis“ genannt, ist eine auf grünem Spezialpapier gedruckte Urkunde, die bescheinigt, ob die betreffende Person vorbestraft ist oder nicht. Wird das Führungszeugnis für persönliche Zwecke, z. B. zur Vorlage beim Arbeitgeber, benötigt, handelt es sich um ein Privatführungszeugnis. Das Führungszeugnis für behördliche Zwecke dient ausschließlich zur Vorlage bei einer Behörde (z. B. Erteilung einer Fahrerlaubnis) und enthält neben strafgerichtlichen Entscheidungen auch bestimmte Entscheidungen von Verwaltungsbehörden (z. B. Widerruf einer Gewerbeerlaubnis). Ein „erweitertes Führungszeugnis“ benötigen Personen, die im Kinder- oder Jugendbereich tätig werden wollen (z. B. Schule, Sportverein). Ein Europäisches Führungszeugnis erhalten Personen, die – neben oder anstatt der deutschen – die Staatsangehörigkeit eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des Vereinigten Königreiches Großbritanniens und Nordirlands besitzen. Das Europäische Führungszeugnis enthält neben dem deutschen Führungszeugnis die Mitteilung über Eintragungen im Strafregister des Herkunftsmitgliedstaates in der übermittelten Sprache, sofern der Herkunftsmitgliedstaat eine Übermittlung nach seinem Recht vorsieht.
Das, was den Betroffenen meist interessiert, ist, was denn nun in dem „polizeilichen Führungszeugnis“ enthalten ist.
Wichtig: anhängige, noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren sind nicht aufgeführt, so dass es hin und wieder Sinn machen könnte, ein „polizeiliches Führungszeugnis“ noch zu beantragen, bevor ein Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist.
Im „polizeilichen Führungszeugnis“ werden bei Erwachsenen nur Geldstrafen über 90 Tagessätze (oder über 3 Monate Freiheitsstrafe) eigetragen, § 32 BZRG. Dort heißt es (auszugsweise):
Nicht aufgenommen werden die Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 des Strafgesetzbuchs und Verurteilungen, durch die auf Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen oder Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monate erkannt worden ist, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist.
Objektiv ist die Auskunft also falsch, denn obwohl eine Strafe eingetragen ist, wird mitgeteilt, dass keine eingetragen ist. Man hat quasi einen „Freischuss“.
Wenn allerdings schon eine weitere Strafe im Bundeszentralregister eingetragen sein sollte oder später hinzukommt, also zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens zwei Strafen (auch unter 90 Tagessätzen/3 Monaten) dort, also im Bundeszentralregister, eingetragen sind, wird auch eine Geldstrafe von unter 90 Tagessätzen oder 3 Monaten ins „polizeiliche Führungszeugnis“ eingetragen, § 32 Abs. 2 Ziff. 5 BZRG.
Für Jugendliche und Heranwachsende gibt es etwas kompliziertere Vorschriften, ggf. lohnt sich dafür eine Beratung beim Strafverteidiger (die übrigens eine kostenpflichtige Dienstleistung ist).
Mäxchen (nicht der Kollege Maximilian Rakow aus Berlin/Rostock) und der „Mann (ungegendert) auf der Straße“ stellen sich geheime Operationen, die von einer seriösen Behörde – wie sie vermeintlich auch der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof sein könnte/sollte – vorbereitet und geleitet werden, als etwas vor, was am Tag der Ausführung überraschend geschieht, also für die Betroffenen nicht vorhersehbar ist. Würde ja auch Sinn machen.
Leider scheint diese Vorstellung eine kindliche Illusion zu sein. Das Gegenteil drängt sich auf, Vorfälle nicht nur in der weiteren, vielmehr auch in der jüngsten Vergangenheit, lassen eher vermuten, dass bei dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof eine Plaudertaschenmentalität vorherrscht.
So sollen immer wieder bei geplanten Großeinsätzen sowohl ausgewählte Politiker als auch ausgewählte Medien im Vorfeld von solchen Aktionen unterrichtet werden. Ob dafür an die entsprechenden Mitarbeiter der Generalbundesanwaltschaft gewisse Bákschisch-Leistungen erfolgen, sollte vielleicht einmal geklärt werden. Auch nicht geldwerte Vorteile könnten im Raum stehen bei einer Behörde, bei der selbst popelige Sachbearbeiter mit Luxuslimousinen und Chauffeuren durchs Land geschaukelt werden.
Jüngstes Beispiel die hochwichtige Aktion am 07.12.2022 gegen die Reichsbürgerszene, einer der größten Razzien in der deutschen Geschichte.
Politiker räumen offen ein, schon zumindest eine Woche zuvor informiert worden zu sein. Zur Presse:
Die Online-Ausgaben von „Spiegel“ und „Zeit“ sowie die ARD veröffentlichten passend zur morgendlichen Razzia jedenfalls längere Artikel, für die sie offensichtlich schon zuvor recherchiert hatten.
Auf Twitter hatte der ARD-Journalist Georg Heil am Vorabend geraunt: Am nächsten Morgen werde es sicherlich viele Exklusivmeldungen geben. Der Tweet ist inzwischen gelöscht. In einem Video berichtete ein „Spiegel“-Reporter dann am Mittwochmorgen, man habe um 6 Uhr früh beobachtet, wie die Bundespolizei das Jagdschloss des Hauptverdächtigen Heinrich XIII. Prinz Reuß in Thüringen gestürmt habe.
Der Medienjournalist Stefan Niggemeier schrieb im Online-Magazin „Übermedien“: „Es ist offenkundig: Die Presse war auf diese Razzia gut vorbereitet. Sie wusste vorab, wann sie stattfindet und gegen wen sie sich richtet. Sie konnte Fotografen und Kamerateams zu den Orten der Zugriffe schicken, und war teilweise schon dabei, bevor sie begannen.“
Einige Journalisten wurden Stunden vor den jeweiligen Einsätzen bereits vor den jeweiligen Durchsuchungsobjekten gesichtet.
Und dann kommt der Gipfel der Blauäugigkeit: Unser aller Innenministerin, Nancy Faeser, lässt sogar stolz verkünden, die Tatsache, dass alle Zielpersonen gefunden werden konnten, spricht dafür, dass „nichts durchgesickert“ sei.
So ein Schwachsinn: wenn der GBA hunderte von Personen in Kenntnis von geplanten Aktionen setzt, ist es schlicht ausgeschlossen, dass nichts durchgesickert ist!
Und dann auch noch das abwegige Erfolgsgeschrei, es sei ein Umsturz verhindert worden. Schlicht falsch. Die völlig verwirrten und auf ihren Geisteszustand zu untersuchenden Reichsbürger und Anhänger von Prinz Heinrich XIII Reuß haben auf den Umsturz von der „Allianz“ gewartet, einen Geheimbund im Hintergrund – den es in Wirklichkeit gar nicht gibt.
Resümee und Antwort: Ja, die Behörde „Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof“ scheint ein Plaudertaschenverein zu sein, bei dem ich nicht (na, vielleicht doch ein wenig) wissen möchte, wer von wem was dafür bekommt, dass er (nicht gegendert) als erster mit Informationen über bevorstehende Aktionen und mit Akteninhalten versorgt wird.
Die Sitzungsverfügung des Vorsitzenden eines Gerichtes verbietet Verteidigern, Mobilfunkgeräte mit in den Sitzungssaal zu nehmen. Das wird zu Beginn des Verfahrens ausgesprochen kontrovers diskutiert, letztlich wird die Verfügung durchgesetzt und auch akzeptiert.
Irgendwann im Laufe der Hauptverhandlung vergisst ein Verteidiger, sein Handy in dafür vorgehaltenen Schränken einzuschließen, und wie das Karma es so will, klingelt das Telefon während der Hauptverhandlung.
Der Verteidiger bekommt Schimpfe – zu Recht!
Ein Teil der Sitzungsverfügung lautet sinngemäß:
Die GBA-Sitzungsvertreter dürfen ihre Laptops oder Notebooks mit in den Sitzungssaal nehmen. Mobiltelefone sind im Sitzungssaal nicht erlaubt.
Irgendwann klingelt das Telefon einer Sitzungsvertreterin des GBA während der Hauptverhandlung – das wird vom Gericht schweigend wohlwollend oder wohlwollend schweigend übergangen. Soviel zur Gleichbehandlung.
Richtig witzig heute der „Bundesweite Warntag“. Einige Verteidiger wetten, dass kein einziges Verteidigertelefon klingeln wird, weil wir unsere Lektion begriffen haben, dass aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit im Bereich von 99,5% ein Telefon bei den GBA-Vertretern klingeln wird.
Und, die Wettquote wäre ausgesprochen schlecht gewesen, tatsächlich beginnt um 10.59 Uhr aus der Richtung der GBA-Bank ein lautes Alarmgeräusch, das den Vorsitzenden dazu bringt, die Hauptverhandlung zu unterbrechen.
Eine Sitzungsvertreterin des GBA greift ihre Handtasche und verlässt den Saal. Komischerweise wird quasi ihr folgend das Alarmgeräusch leiser und leiser und verschwindet dann mit ihr in den Katakomben. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
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